Presseschau

NZZ vom 25.04.2017

Die verwandten Giganten

Die Spielfelder der Branchen-Meister SC Bern und FC Basel könnten unterschiedlicher nicht sein – aber es gibt eine auffallende Parallele

Benjamin Steffen, Daniel Germann

Es kam schon vor, dass sich die Klubchefs Marc Lüthi und Bernhard Heusler bei Alltagsproblemen um Rat fragten. Es war Herbst 2011, der SC Bern, ein Eishockeyklub, und der FC Basel, ein Fussballklub, beschäftigten beide einen erstaunlich erfolgreichen Interimstrainer: Antti Törmänen im SCB, Heiko Vogel im FCB. Und so kam's, dass Lüthi zum Telefon griff und das Gespräch mit Heusler suchte. Es ging darum, was es heisse, einen Assistenten zum Chef zu machen; was es bedeute für das Innenleben des Teams, für die Persönlichkeitsentwicklung des Trainers.

Am 11. Dezember 2011 offizialisierte der FCB die Beförderung Vogels, zwei Tage später zog der SCB nach.

Im Frühling 2012 gewann der FCB mit Vogel den Titel; im Frühling 2012 führte Törmänen den SCB in den Final und ein Jahr später zum Titel.

Der FCB gewinnt den Meistertitel Jahr für Jahr, mit wechselnden Trainern; demnächst folgt der achte Titel in Serie, vielleicht bereits am Freitag, wenn Basel in Luzern spielt. Der SCB hat sich am Ostermontag den vierten Titel seit 2010 gesichert, bei jedem Triumph stand ein anderer Trainer an der Bande.

Die Chefs sind die einzigen Konstanten – der geschäftsführende FCB-Präsident Heusler, der Wert legt auf gute Aussenwirkung, aber keine Scheu hat, die Meinung klar zu äussern; und der SCB-CEO Lüthi, der sich kaum um sein Image schert, Hauptsache: Erfolg, Unterhaltung. Ihre erste Begegnung liegt lange zurück, es war ein Treffen mehrerer Funktionäre. Thema: Fans und die Sorgen und Nöte, die sie den Sportklubs bereiten. Einige Fussball-Funktionäre bemitleideten sich gegenseitig, ehe Lüthi einwarf: «Schickt eure Fans doch zu uns, wenn's so schlimm ist – wir nehmen sie gerne.» Damit beeindruckte er Heusler, der sich früh den Ruf geschaffen hatte, Fans nicht zu problematisieren.

Mit Taschengeld gerettet

Die Chefs der populärsten Schweizer Klubs vereint, in der Tradition massenhafter und fast purer Fan-Liebe: Heusler verspürte früh eine gewisse Faszination für den SCB, der trotz langer Qualifikation durchschnittlich mehr als 16 000 Zuschauer hat – «da muss sehr vieles existieren, das über die Spannung des Sports hinausgeht», sagt Heusler, «die Leute fragen sich nicht, was ihnen der SCB bringt. Er gehört zum Leben.»

Beide Klubs sind aus drohendem Ruin auferstanden, in den neunziger Jahren, getragen von den Fans, mit öffentlichen Sammelaktionen. Der SCB rang 1998 um die Existenz, der legendäre Goalie Renato Tosio sagte: «Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn dir ein Erstklässler sein Taschengeld in die Finger drückt, um dem SCB zu helfen.»

Die Not der Vergangenheit eint sie – aber was verbindet und trennt die beiden Grossklubs heute?

In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie unangreifbare Kolosse, was zumindest sportlich einem falschen Eindruck entspricht, denn die Spielfelder könnten unterschiedlicher nicht sein. So ist die unendliche Titel-Serie des FCB dem SCB kaum zuzutrauen, aufgrund des Meisterschaftsmodus, der verlangt, dass sich Klubs nicht nur in der Regular Season behaupten, sondern auch in den Unwägbarkeiten der Play-offs. Zudem ist das sportliche Gefälle in der Eishockeymeisterschaft kleiner als im Fussball, primär finanziell bedingt.

Der FCB zapfte in den letzten Jahren Geldquellen an, die es im Eishockey gar nicht gibt: Einnahmen durch Transfers und Teilnahmen an europäischen Wettbewerben. Kein anderer Schweizer Fussballklub schaffte es, sich diesem Kreislauf auch nur annähernd so profitabel anzuschliessen, was dem FCB national grossen finanziellen Vorsprung einbrachte. In der letzten Erfolgsrechnung wiesen die Basler drei unterschiedliche Ertragsarten aus: den Ertrag aus dem ordentlichen Betrieb (44 Millionen Franken), zudem Zusatzerträge aus europäischen Wettbewerben (27) und Transfers (61). Es ist eine für einen Schweizer Klub exorbitant hohe Summe, die nicht zum Massstab genommen werden sollte. Seit 2010 war sie nie annähernd so hoch, der zweithöchste FCB-Transfer-Ertrag datiert von 2014 (36).

Das SCB-Gesamtunternehmen wies zuletzt einen Umsatz von 56 Millionen auf, was nahelegt, dass der FCB und der SCB im rein nationalen Geschäft ähnlich grosse Player sind. Aber die Klubs haben komplett andere Einkommensstrukturen. Der SCB generiert weder Ablösesummen noch europäische Gelder, muss aber nie um das halbe Kader fürchten wie der FCB. Es gibt kaum internationale Eishockeyligen, die für Schweizer Spieler interessanter sind als die Nationalliga A, schon gar nicht in Europa. Im Schweizer Eishockey werden Ausbildungsentschädigungen bezahlt. Die Spieler werden kategorisiert, für jeden Schweizer Spieler des obersten Niveaus muss der SCB 60 000 Franken an diesen Klub überweisen, der ihn ausgebildet hat. Für den SCB führt dieses System ungefähr zu einem Nullsummenspiel, weil er von anderen Klubs für frühere SCB-Junioren ähnlich viel Geld erhält.

Meister oder nicht? Egal

Die Champions Hockey League wiederum ist keine Milchkuh wie die Champions League der Fussballer. Die letzte Champions-League-Teilnahme warf für den SCB keinen Profit ab, im Gegenteil: Gemäss Schätzungen dürfte sie aufgrund der Reisekosten sogar zu einem Verlust von rund 250 000 Franken geführt haben.

Vor diesem Hintergrund ist es finanziell von völlig anderer Relevanz, ob der FCB und der SCB Meister werden. Wenn der FCB den Titel gewinnt und die Champions League erreicht, sind ihm rund 20 Millionen Franken garantiert. Für die Geschäftszahlen des SCB hingegen spielt es keine Rolle, ob er sich den Titel sichert oder nicht. Es ist eine für Basel unvorstellbare Konstellation: dass der sportliche Ausgang der Saison kaum finanziellen Effekt entfaltet.

Das unternehmerische Risiko überträgt der SCB quasi aufs Team, die Spieler kassieren umso höhere Prämien, wenn sie Halbfinal oder Final erreichen. Finanziellen Profit brachte der jüngste Erfolg dem Klub kaum – «Halbfinal und Final dienen einzig als Werbung für die nächste Saison», sagt der CEO Lüthi, er meint: als Ankurbelung des Interesses, das ohnehin nicht viel grösser sein könnte. Den Verkauf der Saisonkarten hat der SCB bei 13 000 eingefroren, um überhaupt noch Einzeleintritte verkaufen zu können. Bei einem Zuschauerdurchschnitt von 16 566 hat der SCB eine Stadionauslastung von 97 Prozent – es ist ein europaweit einzigartiger Wert.

Doch profitabel hält sich der SCB dank der Gastronomie, mit 18 eigenen Betrieben, die einen Umsatz von 31 Millionen generieren. Auch zum Thema der Gastronomie tauschten sich Heusler und Lüthi einst aus, damals griff Heusler zum Hörer, als der FCB ins Auge fasste, Catering und Vermarktung im St.-Jakob-Park selber zu übernehmen. Auch SCB-Matchbesuche hatten Heusler dazu inspiriert, «dieses Gefühl von ‹one home, one club›», wie der FCB-Präsident sagt, «in diesem Stadion riecht es überall nach SCB». Der FCB ging diesen Schritt 2012 ebenfalls; er schwang sich nicht zum weitverzweigten Gastronomen auf, verdient aber Geld mit Catering. Zudem besitzt die FC Basel Holding AG 20 Prozent des Catering-Spezialisten Wassermann, womit der FCB mit der Gastronomie jährlich summa summarum gut eine Million einnimmt.

Der SC Bern macht mit der Gastro AG laut Insidern einen Gewinn von fast 3 Millionen und schafft damit eine Quersubventionierung des Eishockeybetriebs, der tendenziell defizitär ist. Auf diese Weise dürfte der SCB heuer zum 18. Mal in Serie schwarze Zahlen schreiben. Es wird sich wie vor Jahresfrist (68 000 Franken) um ein kleines Plus handeln, dient aber als interessantes Signal. Es steht für ein gewisses Unternehmertum, das auch der FC Basel zu pflegen lernte, nachdem Bernhard Heusler 2009 die operative Führung und später das Präsidium und die Aktienanteile der Mäzenin Gigi Oeri übernommen hatte.

Darin zeigt sich die wahre Verbundenheit der Kolosse: in ihrem Alleinstellungsmerkmal wirtschaftlicher Gesundheit, das sie so sehr unterscheidet von den anderen grossmehrheitlich defizitären Klubs. Es ist ein starkes Zeichen, dass in den letzten Jahren just diese beiden Klubs so viele Titel gewannen wie niemand sonst; diese beiden Klubs, die finanzielle Disziplin zeigen und gelernt haben, auf eigenen Beinen zu stehen und nur auszugeben, was sie einnehmen. Viele andere grosse Player ihrer Branchen (die Young Boys, GC oder der FC Sion; die ZSC Lions, Lugano oder Davos) dürfen damit rechnen, dass allfällige Verluste von Mäzenen oder sonst wie gedeckt werden.

Vielleicht müssten die Konkurrenten diese Botschaften aus Bern und Basel erhören: dass betriebswirtschaftliche Solidität früher oder später auch sportlichen Erfolg bringt – das Wissen, sich auf nichts verlassen zu können ausser auf sich selber. Oder vielleicht auf den Rat des anderen Grossen, des verwandten Giganten.

Heusler tritt in einigen Wochen ab. Vielleicht wird Lüthi etwas einsamer.

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