Presseschau

TagesWoche vom 07.12.2017

Die Höhenflieger

Der FC Basel legt einen staunenswerten Achtelfinal-Einzug in der Champions League hin und feiert das in Lissabon ausgiebig. Eine Einordung der Kursentwicklung, an der dem Trainernovizen Raphael Wicky ein grosser Anteil zugerechnet wird.

Christoph Kieslich

Die wummernden Bässe aus dem tragbaren Musikabspielgerät, das die Kollegen hinter ihm aus dem Estadio da Luz trugen, waren das Signal zum Aufbruch für Mohamed Elyounoussi. Und genauso schlitzohrig, wie er derzeit Fussball spielt und seine Tore macht, verabschiedete er sich in die Nacht von Lissabon: «Der halbe Job ist erledigt, nun kommt der Rest.»

Das Erreichen der Achtelfinals wollte gefeiert sein, und der FC Basel hat das gebührend getan. Die Clubführung um Präsident Bernhard Burgener und den Verwaltungsrat-Delegierten Jean-Paul Brigger sass im Teamhotel noch lange in die Nacht hinein in einem grossen Kreis mit den Geschäftsstellen-Mitarbeitern zusammen. Der Belegschaftsausflug war perfekt terminiert mit dem Zusammentreffen eines grossen Abends für den Basler und Schweizer Fussball.

Das kickende Personal war da schon über alle Berge. Um eben den restlichen Teil des Jobs zu erledigen. «So einen Erfolg muss man einfach auch geniessen und ein bisschen feiern», hatte Captain Marek Suchy im Sinne der Mannschaft plädiert, und freudig gaben sowohl Sportchef Marco Streller als auch Trainer Raphael Wicky grünes Licht für eine Partynacht ohne offiziellen Zapfenstreich. «Ich war ja selber Spieler», sagte der Trainer mit einem verständnisvollen Augenzwinkern, und der andere ehemalige Profi empfahl: «Auf diesen unglaublichen Erfolg dürfen die Jungs mal einen nehmen.»

Streller hielt kurz inne und fügte in Erinnerung an seine eigene, noch gar nicht so lange zurückliegende partywillige Lebensphase fest: «Eigentlich unglaublich, dass ich so rede. Aber sie sind Profis, und am Samstag, gegen St. Gallen, werden sie wieder parat sein.»

Streller: «Das ist nicht hoch genug zu werten»

Es ist dann zwar spät – oder je nach Sichtweise: früh – geworden beim Zug durch die Gemeinde. Übertrieben wurde aber offenbar nicht, jedenfalls erschien die Mannschaft am Mittwochmittag vollständig zur Heimreise in einer vollgepackten Charter-Boeing 737 mit 180 Menschen. Von denen war ein Grossteil immer noch ein bisschen ergriffen vom Erlebten, das Streller auf eine Formel brachte: «Vier Siege, vier Mal zu null – das hat es noch nie gegeben in der Champions League für ein Schweizer Team. Das ist nicht hoch genug zu werten, das ist sensationell. Mit den zwölf Punkten haben wir Geschichte geschrieben.»

Dem ist an euphorischem Heldengesang nichts hinzuzufügen. Vielleicht muss man, um die Dimensionen zu erkennen, noch einmal die Steighöhe betrachten zwischen der harzigen Phase im September, als man kurz davor schien, das Rheinknie zum fussballerischen Krisengebiet auszurufen, und dem Einzug unter die 16 besten europäischen Mannschaften.

Wicky gibt die Lobeshymnen weiter

Und vielleicht muss man anfangen, die Verdienste von Raphael Wicky an diesem kurzen Prozess abzustecken. Mit ruhiger Hand und unbeirrt hat er das Team durch die ersten Wellentäler geführt, und er hat in den letzten Tagen wiederholt darauf hingewiesen, was er sich an- respektive abgewöhnt hat:

«Mir hilft extrem, dass ich keine Zeitungen lese, dass ich keine äusseren Einflüsse mitbekomme. Ich weiss nicht, wer was schreibt, welcher Experte oder Ehemalige seine Meinung zur Taktik sagt. So bin ich unbefangen, wenn ich mit meinen Leuten im Staff, denen ich vertraue, darüber diskutiere.» Wicky leitet aus der guten Erfahrung der Medienabstinenz eine Berufsanleitung ab: «Für mich ist das der richtige Weg, diesen Job zu machen.»

Im Moment eines ersten grossen Meilensteins in seinem Trainerschaffen war es Wicky wichtig, sein Licht ein wenig unter den Scheffel zu stellen und seinen Zuarbeitern etwas vom Glanz zu gönnen: «Natürlich ist das alles unglaublich speziell und für mich alles sehr schnell gegangen. Ich bin unheimlich stolz auf die Mannschaft und auf die Arbeit, die der Staff macht. Ohne diesen Staff wäre ich nichts. Ein paar haben viel Erfahrung, und ich brauche nicht Leute, die nur Hütchen aufstellen, sondern Leute um mich, die ihre Meinung sagen.»

Als mit ausschlaggebend betrachtet Wicky, wie mit den Rückschlägen seiner ersten fünf Monate umgegangen wurde:

«Wir sind durch schwierige Phasen gegangen, und natürlich war ich nicht glücklich, weil die Resultate nicht gestimmt haben. Aber wir haben schon in der Vorbereitung auf die Saison gesehen: So schlecht ist das alles nicht. Also haben wir miteinander geredet und sind immer ruhig geblieben. Man darf nicht stur sein, aber man muss an das glauben, was man macht. Ich glaube, jeder Trainer wird besser, wenn er offen ist und bereit, etwas Neues zu lernen.»

«Gewonnen haben wir noch nichts»

Dabei darf man nie unterschlagen, dass es sich bei Wicky zwar um einen vormaligen Profispieler mit reich gefülltem Erfahrungsrucksack handelt, aber eben doch um einen Trainernovizen, der aus der Juniorenabteilung des FC Basel auf höchstes Niveau befördert wurde. «Natürlich», sagt Wicky, «ist es für mich auch ein Reinwachsen.»

Marco Streller stuft Wickys Anteil am Höhenflug als «riesig» ein:

«Er ist neu im Business, ich bin neu. Wir sind zwei, die nicht alles wissen. Raphael Wicky ist keiner, der sich nichts sagen lässt, aber er macht seinen Job mit sehr grosser Überzeugung. Er hat sich nicht verbiegen lassen, seine Ansprüche sind sehr klar und bestimmt, und dabei ist er immer authentisch und hat seine Menschlichkeit nicht verloren.»

Und bei all den Lobpreisungen für den Triumph in der Königsklasse vergisst der Sportchef nicht das grosse Bild: «Der Trainer kann diesen Erfolg einschätzen. Aber gewonnen haben wir noch nichts. Unser grosses Ziel ist nach wie vor die Meisterschaft, und die haben wir noch lange nicht geholt.»

Die Saison hat jetzt schon einen Zierrand

Gewonnen hat der FC Basel zwar noch nichts, aber schon jetzt hat diese erste Saison nach dem grossen Umbruch einen Zierrand. Und der feierliche Moment wurde genossen. Die Nachtruhe für die Spieler war aussergewöhnlich kurz und somit den aussergewöhnlichen Umständen angemessen. Als sich der Tross am Mittwoch am Flughafen wieder vereint hatte, samt den U19-Junioren, die mit der erstmaligen Achtelfinal-Qualifikation in der Youth League diesen 5. Dezember zu einem Jubeltag komplettiert haben, war der Blick erstens auf den Samstag und das Heimspiel gegen den FC St. Gallen gerichtet.

Ein «extrem wichtiges Spiel» (Wicky), um den Druck auf die Young Boys aufrecht zu erhalten, und ein «extrem schwieriges» (Wicky) zudem, weil Lissabon erst einmal eingeordnet und die Emotionen verarbeitet werden müssen.

Den FCB erwartet ein unruhige Transferperiode

Dann kommt am Montag (12 Uhr) die Auslosung der Achtelfinals, ausserdem noch das letzte Spiel des Jahres, die vorgezogene Partie der 19. Runde bei den Grasshoppers, und anschliessend folgt die Winter-Transferzeit. «Es wird eine unruhige Periode werden», sagt Streller und macht sich darauf gefasst, dass für die Akanjis, Elyounoussis und Co. Angebote auf den Tisch flattern werden.

Der FCB beabsichtigt, die Mannschaft zusammenzuhalten, zumindest bis zum Sommer. Schnell Kasse machen ist nicht die Absicht, und Kaderplaner Remo Gaugler sagt: «Es gibt keine Zwänge der Clubführung.» Doch der Widerstand gegen einen Transfer, man kennt das, hat finanzielle Grenzen. Oder, wie Mohamed Elyounoussi nach der Partynacht zu bedenken gab: «Ich bin sehr glücklich, beim FC Basel zu sein. Aber im Fussball ändern sich die Dinge manchmal wirklich schnell.»

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