Presseschau

SonntagsZeitung vom 28.08.2016

Wann entlasse ich den Trainer?

Sie ist die häufigste Krisenmassnahme im Fussball – und doch ist die Trainerentlassung weit davon entfernt, eine exakte Wissenschaft zu sein

Florian Raz

Basel Sion hat es in dieser Saison bereits getan, St. Gallen (noch?) nicht. Zürich tat es letzte Saison gleich zweimal und ist trotzdem abgestiegen – oder vielleicht deswegen? Die Trainerentlassung ist im Fussball derart institutionalisiert, dass kein Präsident und kein Sportchef durch seine Karriere kommt, ohne mindestens einmal einen seiner wichtigsten Mitarbeiter auf die Strasse zu stellen. Und doch gibt es kein Handbuch dafür, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um seinen Coach zu wechseln.

Einer, der die Antwort kennen müsste, ist Bernhard Heusler. In seiner Präsidialzeit schreckt der FC Basel auch davor nicht zurück, sich von Meistertrainern zu trennen. Sieben Titel in Serie scheinen ihm recht zu geben. Und doch kann Heusler nicht mit dem idealen Rezept dienen: «Die Trennung von einem Trainer ist so komplex wie seine Anstellung. Das Spannende ist: Du musst sie prospektiv fällen. Im Glauben, dass es einen positiven Effekt haben wird.»

Das Wichtigste für den FCB-Präsidenten: «Du musst den Entscheid treffen, bevor er dir von aussen diktiert wird. Denn wenn es so weit kommt, ist es in der Regel bereits zu spät.» Beispiele dafür könnten der FC Sion der aktuellen oder die Young Boys der vergangenen Saison sein, die trotz Zweifeln mit den alten Trainern in die neue Spielzeit starteten. Und sich dann nach einem schlechten Start doch zur Reaktion gezwungen sahen.

Der Fan beurteilt die Vergangenheit, der Präsident die mögliche Zukunft

Nachteil: Wer seinen Trainer entlässt, weil er trotz Erfolgen in der Gegenwart um die positive Entwicklung in der Zukunft fürchtet, muss mit heftigen Reaktionen von Fans und Medien rechnen. Heusler hat das erlebt, als Heiko Vogel kurz nach dem Doublegewinn gehen musste: «Menschen betrachten meistens nur die Vergangenheit – also gute oder schlechte Resultate. Und weil sie nicht alle Informationen haben, entstehen schnell Verschwörungstheorien.»

Wohl auch, weil es Mut braucht, einen Trainer trotz sportlicher Erfolge zu entlassen, ist der Druck von aussen häufigster Auslöser für einen Trainerwechsel. Für Heusler hat das durchaus seine Logik: «Wenn es nicht läuft, kann ich nicht Kurzarbeit einführen oder Immobilien abstossen, um zu zeigen, dass ich etwas unternehme.» Fussball mag ein Business geworden sein. Doch anders als anderen Firmen bleibt den Clubs oft bloss eine öffentlichkeitswirksame Massnahme: der Wechsel des Trainers.

Fehlen die Resultate, dann können viele Parteien auf eine Entlassung drängen: Fans, Medien, Sponsoren oder Geldgeber. Dölf Früh erlebt nach schwachem Saisonstart als Präsident des FC St. Gallen gerade einen solchen Moment. Und der Unternehmer sagt: «Der Druck ist viel grösser, als ihn Aktionäre bei einer normalen AG ausüben.»

Diktieren lassen will er sich seine Entscheidungen in Bezug auf die Zukunft von Trainer Joe Zinnbauer trotzdem nicht: «Wenn die elf Spieler nicht richtig laufen, wird von aussen auf den Trainer geschossen. Ich muss akzeptieren, dass das Umfeld nervös wird. Aber das darf eine Geschäftsleitung nicht in ihrem Entscheid beeinflussen.»

Er stützt sich dabei auch auf eine Erfahrung, die er zu Beginn seiner Amtszeit machen musste: 2011 entliess St. Gallen Uli Forte – und stieg doch ab. Früh weiss nicht, ob er mit seinem heutigen Wissen nochmals gleich handeln würde: «Es lag damals nicht am Trainer allein. Für mich ist jene Geschichte der Beweis, dass der sportliche Erfolg an vielen verschiedenen Dingen hängt.»

Beim FC Sion hat Präsident Christian Constantin das Bonmot geprägt, der Totomat entlasse Trainer. Für Früh sind andere Fragen entscheidend: «Ob der Trainer menschlich passt. Ob und wie er arbeitet. Ob er physisch und psychisch in guter Verfassung ist. Und ob die Verbindung zur Mannschaft da ist.»

Und doch würden die Resultate selbst bei einem nicht als hektisch bekannten Club irgendwann zum Argument, sagt der Thuner Sportchef Andres Gerber. Dann nämlich, wenn die Resultate nicht Auslöser der Krise sind – sondern Symptom davon: «Wenn ich merke, dass der Trainer eine andere Sprache spricht als das Team, dann schrillen die Alarmglocken. Dann ist der schlechte Totomat Folge der internen Probleme.»

Manchmal spürt der Trainer selbst, dass seine Zeit abgelaufen ist

Gerber hat das letzte Saison erlebt, als er Ciriaco Sforza zwei Monate nach dessen Einstellung wieder verabschiedete. Es war die erste Trainerentlassung seiner Karriere. Und er sagt: «Das war mir eine gute Lehre, weil ich weiss, dass ich es nicht mehr erleben will.» Seine Lehre: noch mehr Sorgfalt bei der Trainerwahl, direkteres Ansprechen möglicher Konfliktherde: «Wehret den Anfängen, wenn gewisse Verhaltensmuster im Alltag sichtbar werden.»

Trainer können fallen, weil der Club nach öffentlichem Druck einknickt. Sie werden selbst als Meistermacher ausgetauscht, wenn das Präsidium der Entwicklung der Mannschaft misstraut oder Führungsspieler den Machtkampf suchen. Und manchmal spüren sie selbst, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Weil sie lange am selben Ort arbeiten.

So wie Jeff Saibene, der letzten Herbst in St. Gallen zurücktrat. «Es gab Abnützungserscheinungen», sagt Früh, der Saibene nicht entlassen hätte: «Er brauchte eine Luftveränderung. Wahrscheinlich läuft das Fass bei der riesigen Belastung irgendwann einfach über.»

Der Respekt vor der exponierten Stellung ihrer Trainer ist Heusler, Früh und Gerber gemein. «Freunde können auf dieser Position schnell zu Feinden werden», sagt Heusler. Und Früh stellt fest: «Man muss weit oben in einer sehr grossen Firma arbeiten, um denselben psychischen Stress zu haben.» Ihre Bewunderung für die Männer an der Linie aber wird an der Erkenntnis nichts ändern, die Irlands Nationalcoach Eoin Hand schon 1980 hatte: «Es gibt nur zwei Gewissheiten im Leben: Menschen sterben, und Trainer werden entlassen.»

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