Walliser Bote vom 02.06.2015
Vor 33 Jahren besiegte der FC Sitten den FC Basel 1:0 - ein umstrittenes Finaltor. Die Geschichte eines besonderen Moments
roman lareida
Am 31. Mai 1982, es war nachmittags um neun vor drei, der Himmel war blau, die Temperaturen herrlich angenehm, am 31. Mai also kamen zwei Menschen in einem Bruchteil einer Sekunde zusammen, der das Leben der beiden nachhaltig prägte. Es war ein Zusammenprall zweier Karrieren, ein Crash zweier Biografien.
Es passierte zwei Tage nachdem &dcTwo;die melancholische Film-Ikone Romy Schneider in Paris verstorben war, und elf Tage nachdem im tschechischen Pilsen ein künftiger Fussball-Goalie auf die Welt gekommen war, der noch heute bei Chelsea als Petr Cech für Furore sorgt.
Wie gesagt, zwei Menschen. Ein 26-jähriger Haudegen aus dem Wallis und ein noch nicht 20-jähriger Grünschnabel aus dem Baselbiet. Und ihr kurzes Aufeinandertreffen schrieb eine Geschichte über Wahrheiten und Halbwahrheiten, Tatsachen und Möchtegern-Tatsachen, über Durchsetzungsvermögen und Ungerechtigkeit, Unbeugsamkeit und Fragilität. Es kommt darauf an, wie man die Sache sieht.
Letztlich ist es wohl eine Geschichte über die grosse Frage, was zu tun ist in dem Sekundenbruchteil, in dem es um alles oder nichts geht. Ja, auch im Fussball gibt es das. Stehen oder fallen. Erster oder Letzter. Siegen oder verlieren.
In der 21. Minute im bislang einzigen Cupfinal zwischen dem FC Sitten und dem FC Basel hat sich Balet gegen Sutter im Anlauf zu einem unvermeidlichen Luftkampf durchgesetzt und köpfelt zum Sieg ein, auch weil Basel-Goalie Hans Küng schlecht hinausgelaufen war. Das ist die Statisten-Variante. So einfach aber ist sie eigentlich gar nicht.
Bernhard Heusler sass damals als 18-jähriger Fan irgendwo auf den alten Tribünen des Wankdorf-Stadions in Bern, heute sagt der FC-Basel-Boss mit einem Lächeln: «Ich lade Balet zum Cupfinal ein, aber nur, wenn er neben Sutter sitzt.»
Wir besuchen Balet in Sitten, nur unweit des Stade de Tourbillon. Der ehemalige Sitten-Verteidiger ist heute 59-jährig und betreibt im Gewerbegebiet an der Route de Riddes einen Carrosseriebetrieb. Er lacht und sagt: «In so einem Spiel darfst du nicht fallen. In einem solchen Spiel muss man dagegenhalten. Um alles in der Welt.»
In Baden treffen wir Sutter. Er ist geschieden, hat eine Tochter und lebt erneut mit einer Partnerin zusammen. Sutter arbeitet im Raum Zürich im Aussendienst für die Landeslotterie Swisslos. «Hut ab, der Schlag sass perfekt», kann er sich heute ein Lachen nicht verkneifen. «Im Boxen wäre ich erst bei acht wieder gestanden.»
Was war geschehen? Der Sittener Marian Cernicky lanciert steil seinen Teamkollegen Fernand Luisier, der von Basels Serge Duvernois zu Fall gebracht wurde. Der «Walliser Bote» fragte damals: «War es überhaupt ein Foul?» Dann trat Luisier in der Nähe der Eckfahne den Freistoss, Balet machte vor dem Strafraum eine forsche Handbewegung und ruderte sich den Weg in die Luft regelrecht frei, traf Sutter im Gesicht, absichtlich oder auch nicht, dieser sackte schnurgerade zu Boden. Obs die Faust war oder der Ellbogen ist nicht mehr genau zu eruieren, selbst bei den Beteiligten nicht. Für Sutter wars die Faust: «Ich hab den Treffer zum Sieg gar nicht mitbekommen. Als ich aus der Benommenheit ‹erwachte›, jubelten sie.»
Balet gibt zu, dass er «etwas gespürt habe» bei seiner «Armbewegung» und sagt: «Man hätte Foul pfeifen können, durchaus. Aber ich habe meinen Gegenspieler nicht bewusst treffen wollen. Es war ein Kampf um die Lufthoheit, und da geht es nicht zimperlich zu und her.» Und dann schmunzelt er: «Man setzt einen unerfahrenen Spieler in solch einem Moment auch nicht auf mich.» Sutter spielte im Jahr zuvor noch in der 2. Liga bei Gelterkinden.
Balet war zur Zeit so etwas wie Vilmos Vanczák heute, nur abgezockter und härter. In fünf Jahren zuvor skorte er bloss ein einziges Mal, dann kam Daniel Jeandupeux Ende der 70er-Jahre als Trainer zum FC Sitten und gab Balet eine neue hoch aktive Rolle bei stehenden Bällen. «Er sagte zu mir: ‹Alain, ich habe bis heute kaum einen solchen Kopfballspieler wie dich gesehen.›» Danach traf Balet in einer Saison gleich neunmal. In drei Cupfinals kam der beinharte «Flieger» auf vier Tore.
Gelernt hat er die grenzwertige Härte des Geschäfts in einem Meisterschaftsduell gegen Servettes Martin Chivers. Den Engländer zupfte er am Leibchen, nichts passierte. Minuten später kassierte Balet aus heiterem Himmel eine Faust. Sutter hatte seinen neuen beinharten Mitspieler Bruno Graf im Jahr nach dem Cupfinal gebeten, Balet bei stehenden Bällen zu decken. Balet: «Graf hat mir mit einem Schlag die Nase weggedrückt, so dass ich sie noch auf dem Platz wieder habe geraderücken müssen. Aber ich bin nicht gefallen.» Heute gibt Sutter zu: «Als ich das gesehen habe, habe ich mich ein wenig gefreut.»
Geschlagene vier Jahre nach dem 31. Mai 1982 geht Schiedsrichter Jean-Marie Macheret im Nachgang eines Meisterschaftsspiels im Kabinengang auf Balet zu. Der Freiburger hatte den Cupfinal gepfiffen, die 21. Minute scheint ihn aber nie losgelassen zu haben. «Alain, was ist wirklich passiert? War es ein Foul?»